Der geschichtliche Hintergrund einer Idee
Pablo Casals soll von einem Orchester geträumt haben, das nur aus Violoncelli besteht - eine ungewöhnliche Idee, aber auch wieder nicht ganz so neu. Sie beweist ein gutes historisches Gedächtnis. Denn zur Zeit der Musik, die man heute die "Alte" nennt, also vor drei- bis vierhundert Jahren, gab es sogenannte Gambenkonsorts, kleine Ensembles, die nur mit den zarter klingenden Cousinen des Violoncello besetzt wurden, den Viole da gamba, den Violen, die man zwischen den Beinen und nicht mit dem Arm hielt. Gut: Man baute diese Mehrsaiter mit dem leicht nasalen Klang und den Bünden am Griffbrett damals in verschiedenen Größen und in diversen Tonlagen. Ein Gambenkonsort verfügte also über hohe und tiefe Stimmgruppen. Das unterscheidet sie von einem reinen Celloensemble. Doch die Klangfarbe war in ihrer Grundform ähnlich einheitlich. - Pablo Casals unternahm einige Vorstöße, um seinen Traum vom reinen Kniegeigen-Ensemble Wirklichkeit werden zu lassen.
Der große spanische Cellist kannte sein Instrument und dessen Möglichkeiten genau, und er wußte wohl: nur mit der tiefen Abteilung der Streicher würde sich ein monoinstrumentales Orchester erfolgreich verwirklichen lassen. Ernsthafte Konkurrenz ist nicht zu befürchten. Stellen Sie sich eine Bühne voller Violinisten vor, kein einziges anderes Instrument wäre dabei. Die Musiker könnten vieles bieten, ihre Geige könnte jubilieren und brillieren, sie könnten ihre Virtuosität bis in die höchsten Höhen an den Rand der Hörbarkeit führen oder sich zu zart gewobenen Klangteppichen beruhigen - sie könnten durch Zupfen, Schlagen, Klopfen, Dämpfen und Forcieren ihrem Teufelsgerät ein wahres Kaleidoskop an Klangbildern entlocken - irgendwann würde man bei diesem Treiben das Fundament vermissen, es würde nur noch Sehnsucht wecken: den dringenden Wunsch nach der musikalischen Tragkraft der Tiefe. Den aber könnten selbst die Bratschen nicht erfüllen - allenfalls die Kontrabässe noch, aber denen fehlte dann in der Höhe die nötige Durchsetzungskraft, das kleine Quentchen Schärfe, das die Celli immer noch besitzen, auch wenn sie sich in den Klangbezirken der Flöten und Geigen bewegen. Unsere Umgangssprache hat zwar für ihre Bilderwelt bisher nur die scharfen, hohen und lauten Instrumente entdeckt. Den Himmel läßt sie voller Geigen hängen, doch dieses operettige Sphärenerlebnis wurde für Menschen ausgedacht, die mit beiden Füßen auf dem festen Boden der Tatsachen stehen.
Für die Erdung des Kunstgenusses selbst aber ist hauptsächlich das Violoncello zuständig, denn es steht sogar mit drei Beinen auf solidem Grund: mit einem eigenen und zwei menschlichen, die es stützen. Kein Zweifel: Das Violoncello ist das eigentlich universale unter den Orchesterinstrumenten. Es ist in allen Bereichen des weiten Klang und Hörspektrums von den sonoren Tiefen bis in die schrillen Höhen zu Hause. Seine Kantilenen zeichnen sich durch einen eigenen Reiz aus, wenn sie im großen Orchester ansetzen, wird man immer Zeuge eines besonderen Ereignisses. Im Drama einer musikalischen Partitur setzen die Celli nicht selten die Ausrufezeichen. Vom schönen Klang bis zum dumpfen Schlag, vom edlen Gesang bis zu irritierenden Geräuschnebeln ist alles möglich, und ein wohlgeformter Körper sorgt bei der Riesenvielfalt musikalischer Aktionen immer für gute Resonanz. Pablo Casals war sich über die verborgenen Talente des Violoncellos völlig im Klaren. Er förderte sie mit einer eigenen Komposition, sinnigerweise einem Tanzstück, einer "Sardana", deren Heimat Katalanien ist. Er setzte sie für ein Cello-Orchester, das über mindestens 32 Leute verfügen muß. Das war 1927.