Baumanns Noten

Eine andere, auch glimpflich verlaufene "Panne": Die Szene: der Bahnhof von Utrecht, 25. Mai 1979. Die "12" waren, aus Düsseldorf kommend, gegen Mittag mit dem Zug in der schönen holländischen Stadt eingetroffen, nachmittags sollte eine Probe in dem noch unbekannten Saal stattfinden, abends das Konzert. Während der Eisenbahnfahrt hatten verschiedene Cellisten so eingehend, bisweilen auch so heftig, miteinander diskutiert (das ewige Thema: Musik und Musiker), daß man bei der Ankunft in Utrecht ziemlich Hals über Kopf aussteigen musste. Gerade war der Zug in Richtung Amsterdam weitergefahren, da entdeckte Jörg Baumann zu seinem und aller anderen Schrecken, daß er ein Gepäckstück mit seinem ganzen Notenmaterial im Zug gelassen hatte.

Diesmal also 12 Cellisten mit 12 Instrumenten, aber nur elf Stimmen! Zwar kennen die "12" ihre Noten fast auswendig, müssen dies auch bei bestimmten modernen Werken, aber ein ganzes Konzert ohne jeden "gedruckten" Rückhalt, dies geht nun doch nicht, zumal man nur wenige Konzerte innerhalb der Hauptspielzeit geben kann. Also große Aufregung auf dem Bahnhof, Anfragen, zahlreiche Telefonate, alles vergeblich; ließ sich der Zug mittels eines Autos einholen? Amsterdam, rund 60 Kilometer entfernt, war die nächste und letzte Station. Konnte man in aller Eile eine neue Stimme für Baumann abschreiben lassen oder selbst abschreiben? Auch dies erwies sich als unmöglich, zuviel Zeit war schon verstrichen. Was blieb übrig?

Nach längerem Hin und Her nahm sich Baumann ein Taxi, fuhr nach Amsterdam, begab sich zum Bahnhof, fand schließlich das Fundbüro, umarmte im Geist das dort tatsächlich abgegebene Gepäckstück und ermahnte den Taxifahrer, so schnell wie möglich nach Utrecht zum Konzertsaal zurückzufahren. Dort harrten bangend die "11", mit ihnen der Veranstalter, der sich bereits auf eine Ankündigung an das "verehrte Publikum" vorbereitet hatte.

Blick auf die Uhr: 19.29, eine Minute vor Konzertbeginn. Da - endlich - erschien Baumann mit seinen Noten, schlüpfte in seinen Frack (an schnelles Umziehen sind die Philharmoniker gewöhnt) das Konzert war gerettet und konnte, wie vorgesehen, pünktlich beginnen.